2012 Jamie Green und der Norisring

Gary Paffett dominiert das Deutsche Tourenwagen Masters. Auf dem Norisring aber ist Jamie Green der Favorit – vor allem, weil er heute Abend sicher nicht vom Motorsport abgelenkt wird.

Jamie Green hat miterleben müssen, wie Stuart Pearce in Turin statt ins Tor nur die Beine von Bodo Illgner traf, er hat gesehen, wie Gareth Soutgate im Wembley-Stadion scheiterte und David Beckham den Ball in den Oberrang des Estádio da Luz jagte.

Am Sonntagabend aber ist Jamie Green nach einem langen Tag vor dem Fernseher eingeschlafen. Er hätte alles richtig gemacht – wenn er nicht zwei Minuten vor dem Elfmeterschießen wieder aufgewacht wäre.

„Well“, sagt Jamie Green zwei Tage später, „das hat geschmerzt“. Wie wunderbar englisch er das sagt, ein „nicht wahr“ hätte den Satz perfekt gemacht. Green ist vor ziemlich genau 30 Jahren in Leicester geboren, natürlich ist er Fußballfan und natürlich hat er mit der Zeit gelernt, mit den Niederlagen umzugehen. Green steht also sehr gelassen im Treppenhaus des Verkehrsmuseums, was allerdings auch daran liegen könnte, dass es eigentlich nicht um Fußball, sondern um ein, nein, um Jamie Greens liebstes DTM-Rennen geht.

Wache Augen, schnelle Zeiten
Dreimal hat Green auf dem Norisring gewonnen, sogar dreimal in Folge, er war Zweiter und Dritter, in den vergangenen fünf Jahren durfte er nach den Rennen immer Champagner verspritzen. Dass er bei Pressekonferenzen als „Mister Norisring“ vorgestellt wird, das muss er sich gefallen lassen, es gibt keinen Fahrer, der mit dieser eigenartigen Strecke besser zurechtkommt. „Der Norisring ist anders, anders als jeder andere Kurs – aber ich bin schon immer gut damit zurechtgekommen. Warum? Das kann ich mir auch nicht so recht erklären.“

Vielleicht will er das Geheimnis nicht offenbaren, vielleicht gibt es aber auch keines. Green fährt einen Mercedes, seit neun Jahren hat kein anderes Fabrikat mehr in Nürnberg gewonnen. Green hat aber auch schon zweimal in Vorjahreswagen die Ziellinie überquert. Vielleicht sind es also doch seine wachen Augen, seine Ruhe, seine Konzentrationsfähigkeit, die ihn auf dem Norisring zu einem besonderen Fahrer machen. Und wenn er sagt, dass man die Geraden wunderbar dazu nutzen kann, sich locker zu machen, mag das kokett klingen. Green aber ist es wirklich zuzutrauen, dass er bei Höllentempo vor der Grundig-Kehre kurz die Hände vom Lenkrad nimmt und nach dem Schöller-S die Halswirbel knacken lässt.

Nein, natürlich ist das Humbug, der Norisring ist eine Tortur, 83 Runden lang. Jeder Millimeter zählt, sonst löst sich der rechte Rückspiegel in Sekundenbruchteilen an der legendären Mauer auf. Das ist schon im Qualifying höchst anspruchsvoll – und da sind die Boliden alleine auf der Strecke. Der Norisring erfordert einen kompletten Fahrer. Einen wie Green – auch wenn der im Gesamtklassement noch nie über den vierten Rang hinausgekommen ist. Derzeit liegt er immerhin auf Platz drei hinter dem bislang überragenden Gary Paffett und dem Schweden Mattias Ekström.

Noch eine Vermutung: Vielleicht sind dem Engländer normale Strecken nicht extravagant genug. Green jedenfalls genießt die Vorstellungsrunde in den Cabriolets und neuerdings auch das gesamte Wochenende rund um die Steintribüne. „Wahrscheinlich hat es mit dem zunehmenden Alter zu tun, dass auch ich mir langsam darüber bewusst werde, welches Glück ich habe, Rennfahrer zu sein. Und ich habe mir diesmal vorgenommen, mir immer wieder mal eine Minute Zeit zu nehmen, um die vielen grandiosen Fans und diese einzigartige Atmosphäre zu genießen.“ Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er dabei mit Champagner vollgespritzt wird, nicht wahr?