Sie nehmen’s genau

Dem Erlanger Chemiker Harald Wetzel entgeht nichts: In dem kleinen Laborraum am Rande des Norisrings untersucht er mit modernsten Methoden Reifengummi und Kraftstoff der Rennwagen auf unerlaubte Zusätze.

Für die Zuschauer auf dem Norisring zählt vor allem: Je schneller und spektakulärer ein Rennen, desto besser. Doch hinter den Kulissen haben zahlreiche Kontrolleure auch ein Auge darauf, dass es in jeder Hinsicht fair zugeht. Ein Rundgang durch mobile Labors und Räume voller High-Tech.

Ein Reifen ist ein Reifen und Benzin ist Benzin. Eben nicht, sagt Harald Wetzel und zerschneidet ein ohnehin schon winziges Stückchen Gummi in noch winzigere, schwarzgraue Teilchen. Es ist eine von rund 20 Proben, die der Doktor der Chemie am Rennwochenende in Nürnberg in den Boxen von den Reifen schabt und dann in dem extra für den Deutschen Motorsport Bund (DMSB) entwickelten High-Tech-Labor im Kleinformat analysiert.

Denn im Rennsport gibt es harte Reifen und weiche Reifen und dann noch die Möglichkeit, die Pneus noch etwas weicher zu machen. „Zum Beispiel mit Mittelchen, die auf die Oberfläche aufgetragen werden“, sagt Wetzel. Damit der hochgezüchtete Wagen mehr Griff auf der Piste hat, schneller durch die Kurven kommt. Doch spätestens wenn die Probe erhitzt und dann im Gaschromatograph analysiert wird, fliegt der Schwindel auf.

Auf einem Monitor erscheint dann ein „wunderschöner Ausschlag“, der nicht mit der Referenzkurve des Weichmachers im Originalmaterial in Einklang zu bringen ist. Dasselbe gilt für den Kraftstoff, den Wetzel ebenfalls stichprobenartig auf unerlaubte Zusätze oder abweichende Oktanzahlen untersucht.

Obwohl das Prozedere bekannt ist, wird immer wieder versucht zu tricksen, erzählt Wetzel. Allerdings kaum bei der DTM oder der Formel 3. „Eher bei den Kleinserien.“ „Es ist eben ein technischer Sport und wo viel Technik im Spiel ist, wird auch mal versucht, zu manipulieren“, bestätigt der ehemalige Rennfahrer und SEAT-Motorsportleiter Oliver Schielein. Nicht nur bei Reifen und Benzin, sondern auch beim Gewicht und vielem mehr.

Doch die Möglichkeiten zu schummeln sind in den letzten Jahren immer weniger geworden. Vor allem, weil sich durch den technischen Fortschritt die Rundenzeiten auf Zehntel und Hundertstel angenähert haben. „Wenn da plötzlich einer deutlich schneller fährt, macht er sich schon verdächtig“, sagt Schielein.

Herren der Zeit
Auch in den Containern hoch über der Einfahrt zu den Boxen dreht sich alles um die Zeit. Doch Stoppuhren sind im Reich von Alexander Tischer nicht zu finden. Dafür jede Menge Computer und Monitore, auf denen die Daten graphisch dargestellt werden und an kleinen runden Punkten zu sehen ist, wer auf der Strecke gerade die Nase vorn hat. „Die Zeitmessung ist voll automatisiert“, so der Zeit-Obmann des DMSB.

In allen Fahrzeugen sind Transponder eingebaut, bei den Tourenwagen sitzen sie in den vorderen rechten Radkästen. Passieren die Wagen die Lichtschranke im Ziel, piepst es in dem Raum und auf den Computern erscheint die Rundenzeit — auf die tausendstel Sekunde genau. Damit nichts schiefgeht, läuft die Zeiterfassung zusätzlich noch auf einem zweiten, vom ersten unabhängigen Computersystem und außerdem sagt ein Mitarbeiter die Startnummern der Wagen an, die die Ziellinie passieren. Sie werden dann manuell eingegeben und auch wieder einer Zeit zugeordnet. Und für den Notfall gibt es auch noch zeitcodierte Videoaufzeichnungen.

An echte Katastrophen kann sich Tischer nicht erinnern, der den Job schon seit 1970 macht und noch mit der ausschließlich manuellen Zeiterfassung groß geworden ist.

Doch trotz aller Präzision und Überwachung gibt es immer wieder mal Streit, und der landet dann meistens bei Sven Stoppe. Im Race-Controll-Center sitzt der Renndirektor in der vordersten Reihe mit Blick auf über ein Dutzend Monitore. Der 5. DTM-Lauf beginnt erst in gut einer Stunde, aber Zeit zum Durchatmen hat Stoppe dennoch nicht. Er muss noch herausfinden, ob ein Fahrer beim Rennen der Formel 3 eine gelbe Warnflagge absichtlich missachtet und unerlaubt überholt hat, oder das Signal nicht sehen konnte. Zum Schluss ist es wie vor Gericht. „Im Zweifel für den Angeklagten“, sagt Stoppe. Auch wenn das der Beschwerdeführer neben ihm dann gar nicht gerne hört.

Arno Stoffels, Nürnberger Nachrichten