Kampf um die Piste

Die Fahrer lieben und fürchten sie gleichermaßen: 2,3 Kilometer lang ist die Norisring-Rennstrecke. Damit aus der Asphaltbahn für Laster, Pkw und Motorräder einmal im Jahr ein Hochgeschwindigkeitskurs wird, sind wochenlange Vorbereitungen nötig. Aber manchmal genügt nicht einmal das.

Ein Helfer zeigt einem der Fahrer beim freien Training auf einer Tafel an, wie schnell die letzte Runde war: Nach wochenlangen Vorbereitungen können auf dem Norisring die Rennwagen nun endlich an den Start gehen.

Die Fahrer lieben und fürchten sie gleichermaßen: 2,3 Kilometer lang ist die Norisring-Rennstrecke. Damit aus der Asphaltbahn für Laster, Pkw und Motorräder einmal im Jahr ein Hochgeschwindigkeitskurs wird, sind wochenlange Vorbereitungen nötig. Aber manchmal genügt nicht einmal das.

Um zwei Uhr nachmittags ist Franz Löscher noch zuversichtlich. Aber nur eine Stunde später weiß der 63-jährige Schweißer, dass er es heute nicht mehr schaffen wird. Es ist der Mittwoch vor dem Rennwochenende und die Sonne brennt gnadenlos auf ihn und seinen Kollegen Matthias Regers herunter.

Gut zwei Dutzend der insgesamt 56 Gullideckel auf dem Norisring müssten sie an diesem Tag noch kontrollieren und die meisten davon anschließend zuschweißen, aber dann fordert die Hitze von oben und vom Elektrodenschweißgerät in den Händen der Männer mit einem Schlag ihren Tribut. „Den Rest müssen wir morgen machen“, sagt Löscher matt. Mit neuer Frische und vor allem Konzentration. Schließlich hängt von ihrer Arbeit am Ende mit ab, ob aus der Deutschen Tourenwagen-Masters (DTM) in Nürnberg ein ungetrübter Wettkampf für die Fahrer und ein Fest für Zehntausende Rennsportbegeisterte wird, oder im schlimmsten Fall eine Katastrophe.

Sorgenkind Gullideckel
Denn wo Rennautos fahren, wirken in jeder Hinsicht ungeheure Kräfte. Das zeigte sich zuletzt beim Rennen im Jahr 2009: Zu Beginn des freien Trainings wird am Ende der Startund Zielgeraden plötzlich eine nur lose befestigte Hydranten-Abdeckung von einem darüberrasenden DTM-Wagen regelrecht angesaugt und in eine Diskusscheibe verwandelt. Ein Streckenposten kann gerade noch geistesgegenwärtig den Kopf einziehen und entgeht so dem Metallteil.

Dass der Norisring seine eigenen Gesetze hat, braucht Tino Schichler niemand zu erzählen. Während sich die Schweißer draußen noch von Gulli zu Gulli kämpfen, sitzt der technische Leiter für den Aufbau im Büro des Motor Sport Clubs Nürnberg (MCN).

Hinter den Mauern der Steintribüne ist es küh-ler, aber nicht weniger hektisch. Ständig klingelt das Telefon, kommen Arbeiter mit neuen Problemen. Hier fehlt noch eine Drahtverspannung an der Strecke, dort eine Plexiglasscheibe. Ein Gabelstapler ist plötzlich kaputt, eine tonnenschwere Fußgängerbrücke muss noch über den Fischbach, neue Schilder fehlen, die „Sixpacks“ genannten Reifenbegrenzungen müssen aufgestellt werden, Ölbindemittel fehlt, die Toiletten sind noch nicht kontrolliert und …

Alle Jahre wieder
„Manchmal sitzt du einfach da und weißt nicht mehr, was du eben gedacht hast“, sagt der 52-Jährige. Aber so sei das eben, wenn man aus einer normalen Ortsstraße einen Rennkurs machen will. Und warum macht er, macht sein Verein das alle Jahre wieder? Schichler lacht, dann überlegt er.

Für den Moment des Rennens, wenn die Luftaufnahmen von den vollen Tribünen über den Fernseher laufen. Dann komme der Stolz, an einer der letzten verbliebenen Stadtrennstrecken der Welt gearbeitet zu haben. „Ist dann doch schöner als ein fester Kurs, wo man einmal im Jahr die Tür aufsperrt, das Licht anmacht und los geht es.“ Karl-Heinz Brand hat dazu schon Wochen vorher seinen Beitrag geleistet. Seit 1999 fällt die Strecke in die Zuständigkeit des Straßenbaumeisters vom Servicebetrieb Öffentlicher Raum (Sör). Er kennt jeden Zentimeter und jede Schwachstelle des Fahrbahnbelags. Denn was für den Laien wie eine gleichmäßige Asphaltpiste aussieht, ist für den Fachmann ein Puzzlewerk unterschiedlicher Beläge. Alter und entsprechend anfälliger Asphaltbeton wie in der Zeppelinstraße wechselt mit ganz neuen Belägen wie auf der Start- und Zielgeraden, dazwischen rollen die Reifen der Rennwagen auch mal über 70 Jahre alte Betonplatten. Der Untergrund ist zudem durchzogen von alten Kanalschächten: Unberechenbare Hohlräume, die schon mal plötzlich für Löcher in der Fahrbahn sorgen wie vor vier Jahren. Damals stand das ganze Rennen auf der Kippe.

Mit so etwas sei in diesem Jahr nicht zu rechnen, sagt Brand. Der Zustand der Strecke sei gut, diesmal mussten im Vorfeld nur die üblichen Risse und ausgebrochenen Asphaltstücke beseitigt und ein kleines Teilstück erneuert werden. Natürlich nicht nur für das Rennen, betont Brand. Immer wieder beschweren sich Nürnberger bei ihm, dass der Kurs bestens gepflegt wird, während anderswo die Autos jahrelang über Schlaglöcher holpern. Aber es gehe am Norisring immer darum, die Anforderungen der DTM und den ganz normalen Straßenunterhalt für eine Ortsstraße ins Gleichgewicht zu bringen.

Extreme Bodenwellen
Heraus kommt ein Kompromiss. „Wenn man mit einem normalen Auto mit Tempo 50 drüberfährt, merkt man die Übergänge zwischen den Belägen natürlich nicht“, sagt Brand. Mit Tempo 250 sieht es anders aus, was niemand so gut weiß, wie die Fahrer.

„Eigentlich sieht es einfach aus, die kurze Strecke mit nur vier Kurven“, sagt Audi-Pilot Timo Scheider. Ist es aber nicht. Der Kurs sei voll von „extremen Bodenwellen“. Zusammen mit dem wechselnden Straßenbelag heißt das: Weniger Griff für die Reifen und eine hohe Belastung für das Fahrwerk. „Nur in Nürnberg brauchen wir ein spezielles Kühlsystem für die Bremsen.“ Für den Fahrer bedeute der Norisring deshalb „82 Runden Hochkonzentration“.

„Die Strecke verzeiht nicht den kleinsten Fehler“, sagt auch der sechsfache DTM-Norisringsieger Jamie Green. „Das ist anders als alle anderen Kurse. Sehr interessant — und sehr hart.“ Wie hart, hat er 2004 am eigenen Leib erfahren. Damals fuhr Green noch in der Formel 3. Im Qualifying überschlug er sich fast nach einem Fahrfehler. „Ich war danach in Ordnung“, sagt er. Von seinem Auto ließ sich das nicht behaupten. Aber das kann man ja reparieren.

Arno Stoffels, Nürnberger Nachrichten