Vom Feldtelefon zum Sixpack

Wolfgang Schlosser (51) ist am Norisring der Herr über die Sicherheit.

Der bis heute präsente Spitzname „Schlosserturm“ für einen erhabenen Mauerteil am Nürnberger Zeppelinfeld sagt schon alles: Von dort hat der mittlerweile leider verstorbene Helmut Schlosser viele Jahrzehnte über die Sicherheit der Rennen auf dem Norisring gewacht. Seit 2005 ist sein Sohn Wolfgang (51) Leiter der Streckensicherung und nimmt es dabei mindestens so genau wie sein Vater. Kurz vor dem DTM-Rennen 2011 haben wir mit ihm gesprochen.

Militärische Kommunikation und Strohballen
An der Seite ihres Vaters waren Sie schon als kleiner Bub mit auf dem Posten, können Sie sich noch erinnern, wie Streckensicherung damals aussah und welchen Eindruck Sie vom Geschehen hatten?
Schlosser: „Ein paar geborgte Feldtelefone von der damals noch in Nürnberg stationierten amerikanischen Armee und Strohballen genügten – und dann ist man dort Autorennen gefahren. Eingeprägt hat sich mir besonders ein Erlebnis aus dem Jahre 1971, als ich ihn bei einem Rennen der Europäischen Interserie auf den Schlosserturm begleiten durfte. Mein Papa sagte plötzlich, dass er „ein blödes Gefühl habe“ und ging nach unten an die Strecke. Zwei Runden später schlug der Ferrari 512M von Pedro Rodriguez ein und ging in Flammen auf. Durch seine Intuition war mein Papa einer der ersten, der mit dem Feuerlöscher vor Ort war, der Fahrer war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon tot. Ich war damals erst elf Jahre alt und hatte furchtbare Angst, dass meinem Vater bei dem Brand etwas passieren könnte.

Hechtsprung als Lebensretter

Ab wann musste Ihr Vater auch Angst um Sie haben?
Schlosser: Mit 15 Jahren war ich zunächst Streckenposten an einem eher ungefährlichen Abschnitt. Drei Jahre später nahm ich zusammen mit meinem Cousin Michael Schlosser Aufstellung in der wesentlich brisanteren Grundigkehre, der heutigen Alpha-Kurve. 1980 ist dort der Rennfahrer Hans Heyer mit seinem Lancia Delta genau auf uns zugeflogen. Meine Mutter und meine jetzige Ehefrau saßen während des Rennens auf der Tribüne und nahmen nur eine riesige Staubwolke wahr, aus der unsere Körper vermeintlich davon geschleudert wurden. In Wahrheit hatten wir uns mit einem Hechtsprung gerade noch retten können und sicherten die Unfallstelle sofort ab. Kurios mutete die Reaktion des unverletzt gebliebenen Piloten an: Es öffnete sich plötzlich die Tür des Lancia, Heyer krabbelte ein Stück heraus, nahm den Helm ab und setzte sich seinen Tirolerhut auf. Der war damals sein Markenzeichen und signalisierte: alles o.k. Auch wenn alles glimpflich ausging, wird einem dennoch bewusst, was alles passieren hätte können.

Sie sind ebenfalls Vater und haben zwei erwachsene Söhne, die bei der Streckensicherheit mithelfen. Machen Sie sich da auch manchmal Sorgen?
Schlosser: Meine Söhne Stefan (25) und Manuel (20) sind momentan mit einer sehr wichtigen, aber zum Glück ungefährlichen Aufgabe betraut: Sie sind in der Race Control für den Funkverkehr verantwortlich. Ich habe das selbst 15 Jahre lang gemacht und weiß, dass dies eine echte Herausforderung ist, immerhin treffen hier die Meldungen von rund 180 Funkgeräten ein, allein 110 davon gehören unseren Streckenposten.

Es sind also allein 110 Leute am Norisring für die Sicherheit verantwortlich?
Schlosser: Allein bei der Streckensicherung sind es rund 250 Ehrenamtliche. Hinzu kommen viele weitere Helfer und Experten: So die speziell ausgerüstete und ausgebildete Rettungs- und Bergungsstaffel des Deutschen Motor Sport Bundes, Strecken-Notärzte, Feuerwehr, Polizei, THW und das Rote Kreuz, das sogar einen mobilen Mini-OP an der Strecke bereit hält.

Wenn Sixpacks Rennwagen bremsen

Sie sprachen bereits von geliehenen Feldtelefonen und Stohballen – war man früher relaxter, was das Thema Sicherheit anging?
Schlosser: In den Katakomben unter der Steintribüne, die wir als Lager- und Arbeitsräume nutzen können Sie noch viele alte Fotos sehen. Während der 70er Jahre fuhren am Norisring Porsche 917 mit mehr als 1.000 PS, die teilweise sogar schneller waren als die modernen Autos. Dennoch lagen in den meisten Kurven nur ein paar Strohballen oder lose Reifen und zwischen Boxengasse und Rennstrecke gab es nur eine einfache, fragile Leitplanke. Heute dagegen ist alles mit stabilen Dreifachleitplanken bewehrt. Wir waren am Norisring übriges auch mit die Ersten, die Leitwände aus Beton einsetzten, wie sie Autofahrer zum Beispiel von Autobahnbaustellen kennen. Für unsere Zwecke mussten sie allerdings speziell adaptiert werden, um die höheren Geschwindigkeiten zu verkraften. Zusätzlich verlassen wir uns auf 400 Sixpacks. Damit meine ich natürlich nicht die Bauchmuskeln unserer Helfer, sondern Pakete, die aus jeweils sechs Reifensäulen à sechs Reifen bestehen und zu nachgiebigen Barrieren verschraubt werden.

Kann man so etwas kaufen oder müssen Sie häufig improvisieren?
Schlosser: Die Sixpacks baut unsere Crew in mühevoller Handarbeit alle selbst. Auch die 8×1 Meter großen Leitplankentore, mit welchen wir während des Rennens die Fußgängerüberwege sichern sind unsere Erfindung. Bei solchen Arbeiten kommt uns zugute, dass in unserer Truppe die vielfältigsten Berufe und Talente aufeinander treffen. Ein weiteres Beispiel unserer Kreativität sind die „nassen Holzkeile“, die wir überall dort zum Fixieren einsetzen, wo nicht geschweißt werden kann: Durch die Feuchtigkeit quellen sie auf und sitzen bombenfest.

2010 wurde während eines DTM-Rennens durch den enormen Sog eines Boliden dennoch ein mehrere Kilo schwerer Gullydeckel hochgeschleudert. Nur durch Glück wurde niemand verletzt. Wie kann so etwas passieren?
Schlosser: Kanaldeckel werden bei uns grundsätzlich seit vielen Jahren verschweißt, in diesem Fall handelt es sich allerdings um die – übrigens viel kleinere – Abdeckung eines Gasschachtes. Wegen der Feuergefahr verbietet sich hier der Einsatz des Schweißgerätes. Alternativ kommt ein 10 Millimeter starker Stahlbolzen zum Einsatz, der zwar ein seitliches Wegschwenken des Deckels erlaubt, nicht jedoch ein Abnehmen. Man muss aber bedenken, dass ein DTM-Auto am Unterboden einen Sog von über einer Tonne erzeugen kann. Dieser enormen Kraft hielt das Material in diesem Einzelfall nicht stand. Als das Unglück passierte, war ich gerade auf dem Weg zu besagter Schachtabdeckung, um sie zu inspizieren. Ein Streckenposten, übrigens mein Onkel Willi Tauber, hatte nämlich beobachtet, dass sich der Deckel immer wieder leicht aus seiner Fassung hob. Leider kam ich ein paar Sekunden zu spät.

Das heißt, die Streckensicherung hat immer alle Details im Blick?
Schlosser: Wir schauen, wie sich Asphalt verändert, ob sich Regen ankündigt, sich Kühlflüssigkeit, Öl oder lose Teile auf der Strecke befinden. Neben dem Feuerlöscher und den Signalflaggen gehören Besen oder Schutzhandschuhe zu den wichtigsten Ausrüstungsgegenständen unserer Posten. Geht es um Beschädigungen an den Fahrzeugen, hilft uns die Race Control bei der Risikoeinschätzung. Dort sitzen Ingenieure der teilnehmenden Teams und Marken, die ihre Fahrzeuge aus dem Effeff kennen, vor ca.
30 Monitoren und verfolgen das Geschehen.

Wenn der Spiegel an der Wand kratzt

Ist der Norisring als temporäre Einrichtung eine besonders gefährliche Strecke?
Schlosser: Gefährlich nicht, aber er stellt besondere Anforderungen an die Streckensicherheit. Das beginnt schon beim Asphalt: Die meiste Zeit des Jahres werden die einzelnen Abschnitte als Parkplätze, Zu- oder Abfahrtsstraßen genutzt, woraus sich punktuell unterschiedliche Belastungen ergeben und ungleichmäßiger Verschleiß. So können schon mal unvermittelt Bodenwellen oder Spurrinnen auftreten. Insgesamt ist die Strecke zwar relativ breit, bietet jedoch „bauartbedingt“ keine Auslaufzonen. Bei einem Crash heißt es da meist: „Stahl oder Stein“. Hier gilt es, Risiken durch Schutzplanken, Reifenstapel und die Streckenführung zu entschärfen.

Mit „Stein“ meinen Sie z.B. die lange Mauer auf der Rückseite der Steintribüne?
Schlosser: Genau. Für die Zuschauer sieht es immer wieder sehr spektakulär aus, wenn sich die Piloten auf der Suche nach der Ideallinie bis auf wenige Millimeter an die Wand wagen. Es heißt nicht umsonst, dass man gute Fahrer daran erkennt, dass immer ein wenig Lack von ihrem Außenspiegel an den Marmorplatten zurückbleibt. Besonders gefährlich ist dieser Streckenabschnitt allerdings nicht, auch wenn er uns teuer zu stehen kommen kann: Da es sich bei dem Wall um eine historische, denkmalgeschützte Anlage handelt, müssen wir, der Motorsport Club Nürnberg, für alle Beschädigungen aufkommen.

Sind Sie als Leiter der Streckensicherheit eher der einsame Wolf an der Spitze oder Team-Player?
Schlosser: Wir müssen das gesamt Projekt „Norisring“ mit Ehrenamtlichen stemmen.
Das geht nur als Team, das mit Leidenschaft und Spaß bei der Sache ist. Natürlich gibt es aber auch bei uns gewisse Hierarchien. An der Spitze steht noch unser erster Vorstand Gernot Leistner sowie meine Wenigkeit als zweiter und Thomas Dill als dritter. Wir tragen die Verantwortung als Vereinsvorsitzende. Zum engeren Organisationsteam zählen zudem noch Jürgen Schielein, Peter Brandmann, Tino Schichler und Norbert Rögner. Jeder andere unserer mehreren hundert Helfer hätte es aber genauso verdient, namentlich genannt zu werden. Persönlich habe ich auch meiner Frau Angelika viel zu verdanken, die den ganzen „Zirkus“ seit über 35 Jahren mitmacht.